In der Gorbatschow-Ära klebten an den Wänden und Bauzäunen rings um den Moskauer Puschkin-Platz Plakate mit den schattenhaften Umrissen einer nackten Frau. Darunter stand in drohenden roten Blockbuchstaben: »Tschest prodajosch - bogatsche nje budjesch« - durch den Verkauf deiner Ehre wirst du nicht reicher. Was die rundum diskreditierte KPdSU für ehrenrührig hielt, das konnte ja keine so schlechte Sache sein. Heute gehen in Moskau bis zu 50 Frauen auf den Strich. Das sind, gemessen an der Bevölkerung, etwa doppelt so viele wie in Berlin. Die Komsomolskaja prawda will in der russischen Hauptstadt allein tausend käufliche Mädchen im Alter um sieben Jahre registriert haben. Die massenhafte Ausbreitung der Prostitution im Osten ist eine Folge des Zusammenbruchs des Sozialismus und seiner Prüderie. Perestroika hat nicht nur die polizeistaatlichen Barrieren, sondern auch die Schranken herkömmlicher Sittlichkeit eingerissen. Zu den Hinterlassenschaften der kommunistischen Herrschaft gehört neben wirtschaftlicher Verelendung auch ethischer Verfall. Man kann die These beinahe global verbreitern: Das Ende der Ideologien hat einen Werte-Umsturz bewirkt, Geld ist das oberste Weltgesetz. Das erklärt die phantastische Zunahme der Korruption wie der Prostitution. Auf seinem stürmischen Siegeszug durch Osteuropa und Asien hat der Anarcho-Kapitalismus die letzten Tabus überrannt. Der Kollaps des Sowjetreichs, die Umschichtung der Besitzverhältnisse in vielen Staaten und eine noch nie dagewesene Mobilität haben der Prostitution weltweit zu einer beängstigenden Blüte verholfen - mit deutlichen Schwerpunkten in Osteuropa, China und Südostasien. Die russischen Dirnen machen - im In- und Ausland - mehr Umsatz, als ein Drittel aller Nutten In Der Siegfriedstraße Berlin Staaten an Sozialprodukt erwirtschaften. Prostitution ist nicht nur die Folge von Armut, sie kann auch die Folge von plötzlichem Wohlstand sein. Mehr Kaufkraft schafft mehr Nachfrage und mehr Angebot - auch auf dem Strich. Das zeigt sich exemplarisch in Ost- und Südostasien, wo der Wirtschaftsaufschwung dem Sex mächtige neue Konsumentengruppen erschlossen Nutten In Der Siegfriedstraße Berlin. Die fast drei Millionen käuflichen Frauen und Mädchen stellen rund zehn Prozent der werktätigen Bevölkerung. In Deutschland macht die Branche einen Jahresumsatz von schätzungsweise 50 Milliarden Mark. Dabei belegen die Deutschen mit täglich 1,2 Millionen Puffbesuchen nur einen bescheidenen mittleren Platz im gesamteuropäischen Klassement. Die Umbrüche im psychosozialen Volksverhalten haben im Gunstgewerbe der alten und neuen Industriegesellschaften tiefe Spuren hinterlassen. Sex im Puff ist meist folgenlos. Der Morgen danach ist unbeschwert. Und was ganz wichtig ist: Er braucht - zumindest in Mitteleuropa - kaum Aids zu fürchten. Unter den standortgebundenen und nicht rauschgiftsüchtigen Prostituierten in Deutschland etwa geht die HIV-Infektionsrate gegen null. Die Fachwelt hat mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, was Professor Pam Gillies von der Universität Nottingham in Reihenuntersuchungen ermittelte: Obwohl die Prostituierten, die täglich die Grenzen von Ost- nach Westeuropa überqueren, praktisch keiner Gesundheitskontrolle unterliegen, sind sie kein nennenswertes Risiko für die Volksgesundheit. Ganz anders als in Asien und Afrika liegt die HIV-Prävalenz im europäischen Rotlichtmilieu, selbst wenn man finsterste Ecken mit einbezieht, nur unwesentlich über der durchschnittlichen Infektionsrate von Frauen im gebärfähigen Alter. Jedoch, der Sexualienmarkt ist auch differenzierter geworden. Alles ist machbar: »Höher, schneller, weiter - Prostitution ist wie Bungee Jumping. Ständig steigende Ansprüche beleben das Geschäft. Zur Befriedigung der Wünsche, die Ehefrauen oder Freundinnen nicht erfüllen können oder wollen, gehen die Männer ins Bordell. Besonders gefragt: Flagellantismus und Degradation. Der Konkurrenzdruck aus dem Osten hat die Service-Palette verbreitert. Das Institut für sozialsexologische Forschung im niederländischen Utrecht registriert eine drastische Zunahme der Prostituierten seit dem Ende des Sowjetimperiums. Die ganze Szene leidet am rigorosen Verdrängungswettbewerb durch die Exportnutten aus dem Osten. Reisende GUS-Huren räumen mit Kampfpreisen überall den Markt ab. Sie sind billiger und williger als die einheimische Konkurrenz. Die Wiener Dirnen sind auf Kurzarbeit, seit Freier in Scharen über die nahe slowakische Grenze nach Bratislava fahren, weil der Sex dort viel billiger ist. Boomende Märkte auch im Nahen Osten. Zu diesem Aufschwung trugen vor allem Einwanderinnen aus der früheren Sowjetunion bei. Im osttürkischen Grenzort Hopa in der Provinz Trabzon stehen heute 32 Quickie-Hotels, wo es vor drei Jahren noch kein einziges gab.
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